Bereit für den Krieg? EU plant für das Worst-Case-Szenario

Nationale Zertifizierungsübung der EU Battlegroup - Irland
© Niall Carson/PA Wire/dpa

Aufrüstung in Europa

Brüssel (dpa) - Die EU muss sich nach Einschätzung der Europäischen Kommission umgehend auf die reale Möglichkeit eines großangelegten Krieges mit Russland vorbereiten. «Die Geschichte wird uns Untätigkeit nicht verzeihen», warnt die Behörde unter der Leitung von Ursula von der Leyen in einem neuen Strategiepapier zur Zukunft der europäischen Verteidigung. Sollte Russland seine Ziele in der Ukraine erreichen, werde das Land seine territorialen Ambitionen darüber hinaus ausdehnen. Als möglicher Zeitraum dafür wird das Jahr 2030 genannt.

Hintergrund der neuen Strategie sind insbesondere auch die Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump, nach denen die atomare Supermacht USA künftig nicht mehr bedingungslos als Garant für Frieden in Europa zur Verfügung zur stehen wird. «Die Sicherheitsarchitektur, auf die wir uns verlassen haben, kann nicht länger als selbstverständlich angesehen werden», erklärte von der Leyen zur Vorstellung des sogenannten Weißbuches. Man müsse jetzt die eigenen Fähigkeiten stärken und in Verteidigung investieren.

Sieben Schlüsselbereiche

Um Russland und andere aggressive Akteure wirkungsvoll abzuschrecken, ist es aus Sicht der EU-Kommission nun notwendig, so schnell wie möglich bestehende militärische Fähigkeitslücken in sieben Schlüsselbereichen zu schließen. Zu diesen gehören nach dem neuen Strategiepapier die Luftverteidigung und Raketenabwehr, aber auch Artilleriesysteme, Drohnen und militärische Transportkapazitäten. Nach Vorstellung der Kommission sollten die EU-Staaten beim Kauf eng kooperieren und mindestens 40 Prozent der benötigten Güter gemeinsam bestellen.

«Die gemeinsame Beschaffung ist das effizienteste Mittel zur Beschaffung großer Mengen von «Verbrauchsgütern» wie Munition, Raketen und Drohnen. Aber die gemeinsame Beschaffung ist auch entscheidend für die Umsetzung komplexerer Projekte», heißt es in dem Weißbuch. Dies liege etwa daran, dass die Bündelung der Nachfrage die Kosten senke, klare Nachfragesignale an die Rüstungsindustrie sende und die reibungslose Zusammenarbeit von nationalen Streitkräften ermögliche.

Um Aufrüstung zu finanzieren, sind nach bereits vor zwei Wochen veröffentlichten Vorschlägen der Kommission unter anderem EU-Kredite in Höhe von 150 Milliarden Euro sowie Ausnahmen von den strengen EU-Schuldenregeln vorgesehen. So sollen in den kommenden vier Jahren insgesamt 800 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die EU-Kommission will zudem Auflagen und Vorschriften für die Rüstungsindustrie lockern. Die Pläne sollen es auch ermöglichen, die von Russland angegriffene Ukraine künftig noch stärker militärisch zu unterstützen.

Brisantes Thema USA

Wesentlich weniger deutlich als zunächst von der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas und EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius vorgesehen, wird in der Strategie vor Abhängigkeiten von den USA gewarnt. Entsprechende explizite Passagen aus einem älteren Textentwurf schafften es nach Intervention des Kabinetts von Ursula von der Leyen nicht in die Endfassung.

Aus dem Europäischen Parlament kommt daran Kritik. «Ein White Paper zur europäischen Verteidigung ist nur dann sinnvoll, wenn es die Realität anerkennt – und dazu gehört eine ehrliche Neubewertung der transatlantischen Beziehungen», sagte die deutsche Grünen-Abgeordnete Hannah Neumann. Diese ergebe, dass man sich auf die USA nicht mehr verlassen könne, aber bei zentralen Fähigkeiten nahezu vollständig von ihnen abhängig sei.

Wenn jetzt Milliardensummen investiert würden, müssten diese gezielt in den Aufbau eigener Kapazitäten fließen – von Luftabwehr über Cyber bis zur militärischen Aufklärung. Die sieben strategischen Investitionsbereiche dazu seien ein guter Schritt.

Deutliche Warnungen wurden gestrichen

In dem früheren Entwurf für das Weißbuch hatte es zu Abhängigkeiten von den USA konkret geheißen, die Vereinigten Staaten könnten möglicherweise die Nutzung von Schlüsselkomponenten für die militärische Einsatzfähigkeit einschränken oder sie sogar unterbinden. Der einzige Weg, Abhängigkeiten zu überwinden, bestehe deswegen darin, die notwendigen Fähigkeiten durch gemeinsame europäische Rüstungsprojekte zu entwickeln.

Hintergrund der Formulierungen waren offensichtlich die jüngsten Erfahrungen der von Russland angegriffenen Ukraine. Das Land hatte erleben müssen, wie die Regierung von Trump die Nutzung von US-Waffensystemen aus der Ferne einschränken konnte, nachdem es sich geweigert hatte, Forderungen zu möglichen Friedensgesprächen mit Russland und zu einem Rohstoff-Deal nachzukommen.

Befürchtet wird nun, dass die USA im Fall von Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten auch an Nato-Partner gelieferte Waffensysteme aus der Ferne lahmlegen könnten. Besonders gilt dies für Hightech-Produkte wie Kampfjets des Typs Lockheed Martin F-35A Lightning II. Deutschland hatte von ihnen erst vor drei Jahren 35 Stück bestellt. Zugleich besteht aber auch die Sorge, dass sich die Vereinigten Staaten militärisch vollständig aus Europa zurückziehen könnten, wenn US-Rüstungsunternehmen künftig deutlicher weniger Aufträge aus der EU bekommen.

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Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen
Die Grünen-Europaabgeordnete Hannah Neumann vermisst klare Ansagen zu gefährlichen Abhängigkeiten von den USA. (Archivbild)© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Die Grünen-Europaabgeordnete Hannah Neumann vermisst klare Ansagen zu gefährlichen Abhängigkeiten von den USA. (Archivbild)
© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Flugabwehrraketensystem Patriot in Polen
Bei der Raketenabwehr sind viele EU-Staaten bis heute von US-System abhängig. (Archivbild)© Sebastian Kahnert/dpa
Bei der Raketenabwehr sind viele EU-Staaten bis heute von US-System abhängig. (Archivbild)
© Sebastian Kahnert/dpa
Trump fordert von Nato-Ländern fünf Prozent für Verteidigung
Auf ihn will sich kaum einer in Europa verlassen: US-Präsident Donald Trump. (Archivbild)© Michael Kappeler/dpa
Auf ihn will sich kaum einer in Europa verlassen: US-Präsident Donald Trump. (Archivbild)
© Michael Kappeler/dpa
EU-Kommission
«Wir müssen mehr europäisch einkaufen», sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.© Virginia Mayo/AP/dpa
«Wir müssen mehr europäisch einkaufen», sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
© Virginia Mayo/AP/dpa
EU-Kommission
EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas stellte die Strategie mit Verteidigungskommissar Andrius Kubilius vor.© Virginia Mayo/AP/dpa
EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas stellte die Strategie mit Verteidigungskommissar Andrius Kubilius vor.
© Virginia Mayo/AP/dpa

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