Mord an der B59 bei Jüchen gibt große Rätsel auf
Veröffentlicht: Donnerstag, 13.02.2025 06:00
Ein halbes Jahr nach einer tödlichen Messerattacke am Rande der B59 bei Jüchen muss sich seit Mittwoch (12.02.) ein junger Mann vor dem Landgericht Mönchengladbach verantworten.
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Der Fall, der die Menschen im Rhein-Kreis Neuss erschüttert hat, wirft viele Fragen auf. Anfang September 2024 wurde ein 20-jähriger Grevenbroicher auf der B59 - der ehemaligen A540 - zwischen Grevenbroich und Jüchen erstochen.
Mutmaßlicher Täter und Opfer sollen sich gekannt haben
Bis zum Prozess hieß es, die beiden hätten sich nie gekannt, es habe keinerlei Verbindungen zwischen den beiden gegeben. Nach dem ersten Verhandlungstag jedoch scheint klar: Der 20-jährige aus Grevenbroich war kein Zufallsopfer.
„Ich bin sicher, dass es zwischen den beiden irgendeine Verbindung gibt“, erklärte der zuständige Oberstaatsanwalt Stefan Lingens dann auch nach dem ersten Verhandlungstag, „wir haben bislang aber nicht ermitteln können, wie diese Verbindung aussieht. Viele Zeugen haben nicht das gesagt, was sie wissen.“
Polizei und Staatsanwaltschaft mussten in dem mysteriösen Fall im Dickicht zweier türkischer Familien und einigen derer Freunde ermitteln. Ergebnis: Viele Aussagen blieben nebulös – bis heute zeigt sich für die Ermittlungsbehörden kein stimmiges Bild. Dennoch wurde der mutmaßliche Täter aus Erkelenz wegen Totschlags angeklagt, laut der zuständigen Schwurgerichtskammer um den Vorsitzenden Richter Martin Alberring aus Mönchengladbach ist auch eine Verurteilung wegen Mordes aus Heimtücke möglich – das Opfer könnte bei der Tat nämlich völlig ahnungslos und damit „arg- und wehrlos“ gewesen sein.
Angeklagter bestreitet die Vorwürfe
Eine mögliche Verurteilung schwebt deshalb auch wie ein Damoklesschwert über dem Angeklagten. In gebückter Haltung saß der bereits polizeibekannte Mann in einem weißen Polohemd und mit weißen knöchelhohen Turnschuhen auf der Anklagebank, den Angehörigen des Opfers mochte der gebürtige Neusser nicht in die Augen schauen – obwohl er offenbar mit der Tat gar nichts oder zumindest weniger, als ihm vorgeworfen wird, zu tun haben will.
„Mein Mandant bestreitet die Vorwürfe“, gab Verteidiger Rainer Pohlen nach dem ersten Verhandlungstag im NE-WS 89.4-Interview zu Protokoll, „er hat nicht zugestochen, er hat keinem aufgelauert, es gab auch sonst keine Verabredungen. Und ein Motiv hat er auch nicht. Natürlich tut ihm das leid, was passiert ist.“
Welchen möglichen Anteil der 25-jährige an der Bluttat auf der Autobahn hat, will der Erkelenzer erst am nächsten Verhandlungstag berichten – gut möglich, dass er seinen unerkannt gebliebenen Beifahrer beschuldigen wird.
„Dann wird sich mein Mandant umfänglich äußern“, so Anwalt Pohlen.
Grundsätzlich würde eine Messerattacke allerdings zu dem Angeklagten durchaus passen: Als 17-jähriger hatte er schon einmal in einer Disco einen Kontrahenten niedergestochen. In der Folge hatte er einige Jahre im Jugendgefängnis gesessen.
Viele offene Fragen
Bis zum zweiten Verhandlungstag bleiben aktuell für alle Beteiligten mehr Fragen als Antworten. Geradezu dubios ist für die zuständige Schwurgerichtskammer die Rolle des so genannten „Hauptbelastungszeugen“. Bei ihm handelt es sich um den Beifahrer des späteren Opfers. Die beiden jungen Männer waren nachts angeblich noch einmal losgezogen, um in Düsseldorf etwas zu essen – obwohl zumindest das Opfer frühmorgens um 6 Uhr wieder bei der Arbeit erscheinen musste. Zeugen wollen gesehen haben, wie der auf den Angeklagten angemeldete weiße Mercedes 350CDI den Leihwagen des jungen Grevenbroichers – einen Audi A1 – ab dessen Haustür verfolgt haben soll. Auf der ehemaligen A540 kam es dann zu Szenen wie in einem Film: Mehrfach soll der Mercedes den Audi von der Seite gerammt haben.
„Trotzdem behauptet der Beifahrer, man habe sich im Auto nicht unterhalten“, so Richter Martin Alberring, „auch will er nicht mit ausgestiegen sein, nachdem beide Fahrzeuge auf Höhe Jüchen angehalten hätten. Das passt nicht zusammen, so verhält man sich nicht.“
Genauso ungewöhnlich wie die Tatsache, dass sowohl der Angeklagte als auch das Opfer im Besitz hochmotorisierter Luxusautos waren. Der Angeklagte hatte nach einigen Gelegenheitsjobs erst ein halbes Jahr vor der mutmaßlichen Tat eine Reinigungsfirma eröffnet, das Opfer war erst seit einiger Zeit als Jung-Dachdecker tätig, konnte sich aber einen Audi S7 mit einem Grundpreis von knapp 100.000 Euro leisten. Das Gericht fragte sich deshalb: Wo kommt das nötige Kleingeld her?
„Laut Zeugenaussagen soll das Opfer einige Male in den Niederlanden unterwegs gewesen sein“, teilte der Richter im Prozess mit, „einige Zeugen haben in ihren Aussagen von Verbindungen zum kriminellen Millieu und auch von finanziellen Problemen gesprochen.“
So fiel mehrfach der Name der Rockergruppe „Hells Angels“, auch war die Rede davon, dass sich das Opfer kurz vor der Tat 10.000 Euro leihen wollte.
Zeugen beschreiben Opfer als friedlichen Menschen
Familienangehörige äußerten sich zum Prozessauftakt als Zeugen derweil sehr positiv über das Opfer: Der 20-jährige sei ein sehr friedliebender und herzensguter Mensch gewesen. Er habe sich immer für andere eingesetzt. Von eventuellen kriminellen Verbindungen wollten weder der Vater noch der Bruder etwas wissen. Vielmehr erklärten beide, das Opfer habe sich als fleißiger Handwerker „etwas aufbauen“ wollen.
Prozess geht am 26. Februar weiter
Am 26. Februar wird der Prozess fortgesetzt – dann auch wieder unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Die Familie des Angeklagten und auch der Angeklagte selbst sollen massiv in der jüngeren Vergangenheit bedroht worden sein. Aus Angst hätten deshalb seine Schwester und sein Bruder ihre Arbeitsstellen gekündigt, erklärte der Angeklagte. Mit einem Urteil in dem spektakulären Verfahren wird frühestens im März gerechnet.
(Text: Marc Pesch)