Nach Eklat im Vorjahr: Berlinale-Bären werden verliehen
Veröffentlicht: Freitag, 21.02.2025 12:20

Filmfestspiele
Berlin (dpa) - Bei der Berlinale werden am Samstag die begehrten Auszeichnungen verliehen. Nach dem Eklat beim vorjährigen Abschlussevent mit Antisemitismus-Vorwürfen wird die rund einstündige Gala mit Spannung erwartet. Sie wird von Désirée Nosbusch moderiert, die auch schon durch die Eröffnungsgala geführt hatte.
Diese Filme haben Chancen auf den Goldenen Bären
Vor dem Start hatte die neue Berlinale-Chefin Tricia Tuttle betont, das Festival-Programm solle insbesondere zu Gesprächen über gesellschaftlich relevante Themen anregen. Das ist ihr gelungen. Viele der 19 Filme im Wettbewerb drehen sich um Menschen auf der Suche nach sich selbst, blicken dabei aber auf ihre Mitmenschen und ihr Umfeld.
Dazu gehört der Kritikerliebling «The Blue Trail» aus Brasilien, eine feinfühlige Studie über eine Seniorin, die in einer dystopischen Gesellschaft in eine Alten-Kolonie abgeschoben werden soll. Sie setzt sich dagegen zur Wehr. Auf ihrer Reise hat sie zahlreiche Begegnungen, die ihr völlig neue Lebensperspektiven eröffnen.
Der Film von Gabriel Mascaro hat gute Chancen auf den wichtigsten Preis der Berlinale, den Goldenen Bären. Dazu kann sich Denise Weinberg Hoffnung auf die Ehrung mit dem genderneutral vergebenen Schauspielpreis für die beste Hauptrolle machen.
Doku zum Ukraine-Krieg überzeugt
Aber die Konkurrenz ist stark: Verdient hätte den Goldenen Bären auch der eindrückliche Dokumentarfilm «Timestamp» von der ukrainischen Regisseurin Kateryna Gornostai. Er handelt von den Auswirkungen des Ukraine-Krieges vor allem auf den Schulalltag. Der stilistisch angenehm schlichte Film ist trotz des harten Themas keiner über das Sterben - sondern er feiert das Leben.
Schwere Themen reflektiert auch die Romanverfilmung «The Safe House» vom Schweizer Regisseur Lionel Baier. Mit verblüffender Fantasie schlägt er einen gedankenreichen Bogen durch die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der zwischen Komik und Tragik balancierende Film hält ein starkes Plädoyer für ein von Menschenliebe und Toleranz getragenes Leben, insbesondere gegen Antisemitismus.
Hollywood-Star Ethan Hawke gut im Rennen
Vergeben werden auch mehrere Silberne Bären, zum Beispiel für die beste Regie. Als preiswürdig erachtet wird etwa weithin der mexikanische Regisseur Michel Franco für sein Migrantendrama «Dreams». Der Film dreht sich um eine Affäre zwischen einer wohlhabenden US-Amerikanerin (Jessica Chastain) und einem Balletttänzer aus Mexiko.
Bei den Schauspielern ist die Konkurrenz groß: Neben Denise Weinberg hätte US-Schauspieler Ethan Hawke die Ehrung verdient. Er verkörpert den 1943 verstorbenen Musical-Textdichter Lorenz Hart in «Blue Moon» von Richard Linklater. Hawke spielt die Rolle seines Lebens und begeistert mit einer packenden Charakterstudie voller Licht und Schatten.
Auch die Australierin Rose Byrne kann mit ihrer Rolle als ausgelaugte Mutter kurz vor einem Nervenzusammenbruch in der Tragikomödie «If I Had Legs I’d Kick You» mit einer Auszeichnung rechnen. Überzeugt waren zudem viele von Clara Pacini als Jugendliche, die ihre Sexualität entdeckt, im Märchen «The Ice Tower».
Wie immer aber gilt: Alles ist möglich - und die Internationale Jury rund um ihren Präsidenten Todd Haynes ist für Überraschungen gut. Bisher ist in diesem Jahr nur eines sicher: Der Wettbewerb hat extrem viel Stoff geboten, um über die Filmkunst und ihren Wert in unserer Welt nachzudenken.
Zahlreiche politische Aktionen bei der diesjährigen Ausgabe
Bleibt die Frage: Wird es bei der Gala dieses Mal differenzierter zugehen? Bei der Preisverleihung 2024 hatten einzelne Preisträger auf der Bühne das Vorgehen Israels massiv kritisiert, ohne den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom Oktober 2023 zu erwähnen. Aus dem Publikum gab es Beifall. Die Verantwortlichen in Berlin reagierten erst, nachdem im Anschluss an die Gala Kritik bis hin zu Vorwürfen von Israelhass und Antisemitismus laut wurde.
Dieses Jahr setzten die Filmfestspiele Zeichen, um Solidarität mit den israelischen Geiseln auszudrücken. Insgesamt war die Berlinale einmal mehr stark von politischen Debatten geprägt. Gefühlt verging, urteilten manche Besucher, kein Tag ohne Protestaktion. Dabei ging es zum Beispiel um die bevorstehende Bundestagswahl, den Pflegenotstand oder Kürzungen im Kulturetat.
Auch der Gaza-Krieg war wieder Thema. Während des Festivals sorgten Ermittlungen des Staatsschutzes nach der Rede eines Regisseurs für Wirbel, der von «Völkermord» gegen Palästinenser gesprochen hatte. Die Berlinale distanzierte sich schnell. Nicht nur für die Abschlussgala wurden Moderatorinnen und Moderatoren dieses Mal besonders geschult. Die Berlinale solle ein Ort für differenzierte Gespräche sein, sagte Tuttle.
